Chief Listening Officer statt skriptgesteuerte Pappkameraden: Dell und der Abschied vom Sisyphus in der Warteschleife

„Die Kunden wollen uns nicht am Telefon, sondern dort, wo soziale Austauschprozesse stattfinden. Sie beobachten, wie wir mit User-Feedback umgehen“, so das Credo von Michael Buck, Director Online Marketing bei Dell.

Der Kunde solle näher an das Unternehmen herangebracht werden. Es müsse mehr Zugangspunkten zu den Entscheidern geben. Dabei gehe es nicht nur um die Ansprechbarkeit des Servicepersonals, sondern auch um die Führungskräfte. Nicht nur die Dienstleistungen werden auf die neuen Anforderungen der digitalen Beteiligungsökonomie trainiert:

„Unsere gesamte Organisation richtet sich darauf aus – vom Ingenieur bis zum Vorstandschef. Jeder wird darauf vorbereitet, mit Kunden in Kontakt treten zu können. Die Öffnung des Unternehmens bedeutete für uns eine Kulturrevolution“, so Buck im Interview mit dem Ich sag mal-Blog.

Das bestätigt auch Medienprofessor Jeff Jarvis in seinem Opus „Was würde Google tun?“: Kunden müssten sich bei Dell nicht mehr als Sisyphus in der Warteschleife herumplagen, sondern werden direkt in die Verbesserung der Produkte und Services einbezogen. Etwa mit der Gründung des Blogs Direct2Dell oder der Website IdeaStorm.

Blogger werden ernst genommen

„Wir haben neue Formen der Kommunikation entwickelt, um kompetent und ohne Zeitverzögerung die Kunden zu beraten. Skriptgesteuerte Pappfiguren, die nur ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ antworten können, haben da nichts zu suchen. Die Dialoge im Social Web-Zeitalter finden in der Öffentlichkeit statt und entsprechend qualifiziert müssen unsere Mitarbeiter sein, um hier nicht unterzugehen. Wir haben einen Chief Listening Officer eingeführt. Das ist eine Führungskraft, die direkt am Vorstand von Dell angesiedelt und extrem gut vernetzt ist. Sie besitzt Führungskompetenzen über das gesamte Unternehmen und kann eine komplett neue Metrik für die komplette Organisation entwerfen, wenn es die Umstände erfordern“, so Michael Buck.

Sozusagen ein Horchposten für die vernetzten Services des Computerherstellers.

Noch heute sei man übrigens mit Jeff Jarvis in einem guten Kontakt.

„Die Pressekommunikation ist nach der Auseinandersetzung mit dem Buzzmachine-Blogger umgestellt worden. Die Blogosphäre ist für Dell enorm wichtig, wenn es um neue Produkte, Services und Anfragen geht. Hier werden Blogger gleichberechtigt gesehen“, erläutert Buck.

Produktverbesserungen: Negative Resonanz besser als gar keine

Der besondere Wert beim Social Media-Monitoring liegt für ihn in der Möglichkeit, schon nach Stunden eines weltweiten Produktstarts festzustellen, wie das Produkt aufgenommen und diskutiert wird.

„Ein Produkt, das nicht über ein Rating von zwei Sternen kommt, nehmen wir aus dem Katalog. Wir messen alles und Kundenbewertungen sind für uns extrem wichtig“, so der Online Marketing-Manager. Es sei nachweislich so, dass Produkte, die über ein soziales Rating verfügen, sich generell besser verkaufen, als Produkte ohne Rating. Er geht sogar so weit zu sagen: „Auch eine schlechte Bewertung ist besser als gar keine.“

Im Social Web werde genau darauf geachtet, wie man auf negative Rezensionen von Kunden reagiert. Wenn gar keine Reaktionen auf neue Produkte folgen, sei das noch viel schlechter als negative Meinungsäußerungen. Ohne Resonanz könne man nicht besser werden.

„Unser Ziel ist es, auf Basis des Kunden-Feedbacks mit den Ingenieuren die Produkte so zu verbessern, dass sie fünf Sterne bekommen“, sagt Buck.

Dass die Social Media-Plattformen und mobile Apps in Deutschland noch so wenig von Unternehmen für den Kundenservice genutzt werden, kann Buck nicht nachvollziehen:

„Vielleicht warten einige noch ab, um dann das Beste auf den Markt zu bringen. Das hat ja auch etwas Gutes. Man schaut sich an, was wirklich funktioniert und führt dann recht zügig eine smarte Lösung ein. Eine typisch deutsche Eigenschaft“, resümiert Buck, der am 10. Juli in Amsterdam in einer interessanten Panel-Runde mit Brian Solis (Altimeter Group), Scott Galloway (L2), Peter Gentsch (Business Intelligence Group), Dennis Wedderkop (Vodafone), Michael J. Saylor (Microstrategy), Peter Mann (CDS/UK Army) und Ulf Valentin (HRS) über Social Commerce-Trends diskutiert.

Siehe auch:

Kontrollillusionen und Verweigerung: Unternehmen über das Social Web kaum ansprechbar.

Für Dell stand das Verkaufen über Social Media als Zielsetzung nie an oberster Stelle.

Die Relevanz von Social Media für Unternehmen hat wohl der Mittelstand mittlerweile verstanden, wie eine Bitkom-Studie belegt: Mittelstand setzt auf soziale Medien.

Dazu auch ein interessanter Bericht in Markt und Mittelstand: Social Media in B2B-Unternehmen.

rp10: Jeff Jarvis-Bashing – Die Web-Worthülsen von meedia.de

„Jeff Jarvis ist wieder auf Tour. Der wahlweise als Web-Guru oder Internet-Visionär betitelte US-Amerikaner hat sich zu einem weltweiten Ein-Mann-Wanderzirkus in Sachen Web-Propaganda entwickelt. Seine Thesen werden von der Netzgemeinde eifrig beklatscht und selten hinterfragt. Aktuell auf dem Berliner Blogger-Kongress re:publica. Aber die Antwort auf die wichtige Frage, wie man mit dem Internet eigentlich Geld verdienen kann, hat Jarvis bisher nur für eine einzelne Person beantwortet: für sich selbst“, so sieht es der meedia-Blogger Stefan Winterbauer in seinem Rundumschlag gegen den Medienprofessor.

So witzelte Jarvis in Berlin über das deutsche Paradoxon, dass man sich hierzulande lieber nackt in die Sauna hockt, statt sich von einem Google Streetview Auto in voller Montur ablichten zu lassen. „Gelächter, Applaus, weiter im Text. Bloß nicht drüber nachdenken, sonst wäre die schöne Pointe womöglich hinüber. Dass es einen Unterschied macht, ob man sich in einem abgeschirmten Raum wie einer Sauna selbstbestimmt nackt zeigt oder ob man ungefragt auf der Straße fotografiert wird, wird von Jarvis nonchalant übergangen. Würde der Google-Fotograf mit einer Digitalkamera in der Sauna hocken und rumknipsen, würde wohl auch der eine oder andere protestieren“, meint Winterbauer. Der Konter sitzt nicht. Wenn ich in eine öffentliche Sauna gehe, weiß ich in der Regel nicht, welche Leute da mit mir herumsitzen. Trotzdem ist es gar kein Thema, mich meiner Kleider zu entledigen und sich unter das Nacktvolk zu mischen, sich mit anderen zu unterhalten und vielleicht sogar persönliche Infos preiszugeben. Den gleichen Effekt habe ich über den Tante Emma-Laden beschrieben.

Jetzt aber zum zentralen Vorstoß von Winterbauer. Das große Thema, das Jarvis in seinem Buch „What would Google do?“ abhandelt, ist die Link-Ökonomie. „Eine Art Web-Variation von Georg Francks berüchtigter (wieso berüchtigt, das ist ein intellektuell anspruchsvolles Buch, bei Hanser erschienen, keine einfache Kost. Hat Winterbauer dieses Opus überhaupt gelesen?) ‚Ökonomie der Aufmerksamkeit‘. Die besagt ganz grob, dass Aufmerksamkeit heutzutage eine Währung darstellt. Laut Jarvis wird diese Aufmerksamkeit durch Links erzeugt. Die Medienhäuser sollten sich also darauf konzentrieren, viele Links auf ihre möglichst spezialisierten und einmaligen Inhalte zu bekommen. Und, so die finale Schlussfolgerung, um viele Links, also viel Aufmerksamkeit, zu bekommen, muss alles natürlich frei verfügbar sein. Theoretisch ist das ein in sich schlüssiges Gedankengebäude. Solange man sich nicht in die wirkliche Welt hinauswagt. Wer von Jarvis wissen will, wie er denn die vielen Leute, die Gebäude, die Dienstleister, die ganze Infrastruktur mit der Link-Ökonomie bezahlen soll, der erhält zur Antwort, man müsse ‚Wege finden‘, die Aufmerksamkeit zu monetarisieren. Immer wenn’s ans Eingemachte geht, verdrückt sich Jarvis ins Ungefähre und eilt zum nächsten Vortrag“, kritisiert Winterbauer, der wohl etwas neidisch ist, dass Jarvis zur Zeit eine so hohe Aufmerksamkeit genießt und sie auch monetarisieren kann. In einem Vortrag zu erwarten, dass Jarvis nun neue Geschäftsmodelle für unterschiedliche Wirtschaftsbranchen auszubreiten, ist doch recht idiotisch. Wer das Buch von Jarvis rezipiert hat, weiß, dass dieser Vorwurf nicht zutrifft. Dort findet man für unterschiedlichste Branchen detailliert Vorschläge, wie man die Google-Philosophie umsetzen und auch Geld verdienen kann. Vom Google-Mobil bis zum Google-Krankenhaus. Siehe auch: Google-Mobil: Mitmachautos und Hersteller als Mobilitätsprovider.

Auch auf seinem Blog Buzzmachine verdrückt er sich nicht ins Ungefähre, sondern bewegt sich sehr wohl in der realen Wirtschaftswelt. Selbst seine googligen Produktempfehlungen sind immer wieder sehr amüsant gemacht und haben bei mir direkt einen Kaufanreiz ausgelöst.

Jarvis ist ein sympathischer, pointenreicher und witziger Rhetor, der auf Kongressen wie der re:publica sein Publikum unterhalten will. Mehr kann man von Vorträgen doch nicht erwarten. In der Regel tummeln sich auf solchen Veranstaltungen Graue Mäuse, die mit ihren Powerpoint-Orgien nur Schnarcheinlagen bringen.

Wie man sich differenziert mit der Person Jeff Jarvis auseinandersetzen kann, belegt das Interview der Welt.

Nexus One: Maschinen-Intelligenz und die Schwierigkeiten eines perfekten Kundendienstes

„Der Mensch schuf den Computer sich zum Bilde, zum Bild des Menschen schuf er ihn“, so steht es in einem Kybernetik-Büchlein von Rolf Lohberg und Theo Lutz. „In seiner Grundkonzeption ist jeder Elektronenrechner ein künstlicher Mensch. Seine logische Struktur ist die des homo sapiens. Deshalb erscheint der Computer uns ja als das ideal kybernetische Universalmodell: weil er alles das, was wir uns in unseren Köpfen vorstellen können, als logisches Modell in seinen elektronischen Gehirnzellen nachbilden kann“, schreiben Lohberg und Lutz. So sind wohl auch die Programmierer von Google von der Genialität ihrer Suchalgorithmen überzeugt und beglücken die Welt des Internets mit intelligenten Maschinen.

Nur wenn in der Wirklichkeit unlogische Fehler auftreten, legen sich die Automaten scheinbar die Karten. Noch so schöne mathematische Modellwelten können nicht alle Wirrnisse des Lebens abbilden. Wenn nach dem Kauf eines Handys namens Nexus One Probleme bei der Installation von Software auftreten, irgendwelche Hindernisse beim Aufladen des Gerätes entstehen oder schlichtweg gar nichts funktioniert, helfen schlaue Maschinen auch nicht weiter. Je komplexer die Geräte, um so anspruchsvoller werden die Herausforderungen für den Kundenservice. Und da hat Google ein echtes Problem mit der realen Wirtschaftswelt. Ich habe in einer Story für NeueNachricht die berühmte Frage von Jeff Jarvis etwas abgewandelt: Nicht mehr „Was würde Google tun?“, sondern „Was tut Google“. Das wird spannend.

Kundendienst für das Nexus One: Was tut Google? Handy-Minicomputer werden immer komplexer und brauchen dezentrale Services.